Schlüter Erster
Theil
1801 –
1884
1
Was wir gelebt, gelitten und
erfahren,
Geliebt, gehofft, verfehlet und
gefehlt
Im innern Heiligthum, in äußrer
Welt,
Als Kinder und in reifern
Mannesjahren,
Das laßt in Klang uns muthig
offenbaren,
Von heil’ger Liebe lichtem
Strahl beseelt
Und warmem Dank zu Ihm, der nie
verfehlt,
Dem Kleinsen beizustehn von
seinen Schaaren.
So laßt uns von dem Lichte
Zeugniß geben
In dunkler Nacht, in Ohnmacht
jener Stärke,
Die unser Haupt erhebt, uns
spendet Kraft,
Er sprach: ich lebe und auch
ihr sollt leben.
O Lust, zu helfen mit an seinem
Werke
Durch seiner Liebe heil’ge
Leidenschaft!
2
Vermummt im Mantel aufwärts bis
zur Nasen,
Doch Augen frei und Ohr zu
beiden Seiten,
Will ich den tollen Mumenschanz
durchschreiten,
Wo februarisch kalt die Lüfte
blasen,
Und trauernd schaun rings auf
der Thorheit Rasen,
Wo ernst und komisch ihren Kram
sie breiten
Und sich dazu, die Dummen, die
Gescheiden
In eignen Augen, Vettern,
Tanten, Basen.
Doch Achtung, daß nicht selbst
mich gar anwehe
der Thorheit Luft bei dem Vorübergleiten
Des Klingelhuts, der
Schlittenpferde Läuten.
Ich bin vom selben Stoff; was
rings ich sehe,
Mein Fleisch und Blut ist’s,
ha, ich denk’ es, wehe!
Und will dennoch der Thorheit
Heil bereiten?
3
Hat Wasser erst die Dämme
durchgebrochen,
Ist mit Verstand vorerst nicht
viel zu machen;
Leckt hoch die Zunge schon des
Feuerdrachen
Am Giebel, wird umsonst der
Brand besprochen.
Weit durch die Luft erschallet
ungerochen,
Brach einmal es hervor, das
laute Lachen;
Schnell fliehn vom Munde des Verstandes
Wachen,
Reizt Zornesmuth das Herz mit
wildem Pochen.
Und wer sich rein im Busen
nicht bewußt,
Und festzustehn auf rechtlich
starken Füßen,
Geh’ weg mir unter meinen Füßen
eben!
Mein Herz ist voll von
Zornes-Schmerz und Lust
Hinweg, bevor die Schleusen
sich erschließen,
Blitz, Regen könnt’s und Sturm
und Schlossen geben!
4
Im Jahre achtzehnhundert
vierzig sieben
Sah Küh’ und Kälber hoch man in
der Luft.
Der Adler haust in düstrer
Bergeskluft,
Die Fische sah man sich im
Trocknen üben.
Hier suchte man die Zeit zurück
zu schieben,
Dort: vorwärts! Rosse geißelnd
knallt und ruft
Ein Federheld und junger
Zeitungsschuft,
Und jedes Mühlwerk ging von
Dampf getrieben.
Im Karren ging der Mensch, doch
auf den Dächern
Sah Esel man mit weiser Mien’
stolzieren,
Und „Nutzen“ war der Gassen
Feldgeschrei.
Kein Mangel war an Recht- und
Urtheilssprechern,
Arznei sucht’ man auf Nichts
zurückzuführen,
Und Gotteswort erklärt’ man
vogelfrei.
5
Im Jahre achtzehnhundert
vierzig sieben
War manchen Junkers Hut nicht
goldumrändert;
Doch gingen Fraun und Mädchen
reich bebändert
In bunter Seid’; man liebt’ und
ließ sich lieben.
Man aß und trank und schlief
und fischt’ im Trüben,
Und klatscht’; im Ganzen ward
so fort geschlendert.
Ein Kenner fand die Welt nicht
sehr verändert
Und sie noch ziemlich in der
Mode blieben.
Gold, Weiber, Ehrgeiz,
Herrschaft, Neulust, Grillen
Trieben mit der Kraft der
Trägheit unablässig,
Als blauer Dunst, die alte
Dampfmaschine.
Vergeblich Werk, es hieß um
Gottes willes
Gethan, die Selbstsucht lachte
übermäßig,
Zu ihrem Spiel rings fand sie
gute Miene.
6
Im Jahre achtzehnhundert
vierzig sieben
Ward wenig nur gehört von
großen Kriegen.
Kaum sucht’ sich einer selbst
noch zu besiegen,
Als Thorheit galt die große
Kunst zu lieben.
Und o sie ist’s; Liebhaber nur
sie üben.
Der heil’ge Ehrgeiz, sich zu
überfliegen,
Wodurch allein der Tugend Höh’
erstiegen,
Wahrheit erobert wird, wo ist
er blieben?
Erobrungswuth der Laster und
der Lügen,
Der Heuchelei, der niedern
Vorurtheile,
Der Trägheit und des
gottverlaßnen Geistes,
Wo taucht sie auf? Wo glänzt in
reinen Zügen
Ihr Heldenantlitz aller Welt
zum Heile?
„Es ist ein Narr, ein
Philosoph“, so heißt es.
7
Freund! solch ein Wort klingt
eben gar nicht zierlich,
Auch gibst du dich fürwahr nicht
sehr verbindlich,
In einem edlen Kreis bist du
befindlich,
Geberde drum auch etwas dich
manierlich.
Ja, ja, ihr wollt, sirenenhaft
verführlich
Soll auch ich reden, wie ihr
plaudert stündlich
Und tändelt zart mit Grazie und
kindlich;
Ich nenn’ es rauh, gemein und
ungebührlich.
Sinn, Herz und Geist, sind sie
noch nicht erstorben,
So sind sie längst doch tief in
euch verdorben,
Indem sie falsche Farb’ und Ton
erworben.
Der gute Will’ allein dünkt
mich manierlich,
Der treue Sinn allein ist zart
und zierlich,
Ein Herz voll Liebe nur thut,
was gebührlich.
8
„Blick erst, bevor du dir zu
sehr vertraust,
Und sieh den Sack auf deinem
eignen Rücken;
Dann magst du in den Sack des
Vormanns blicken
Und sagen uns, was du mit
Grauen schaust.
Dicht an dich angespannt mit
nerv’ger Faust
Der Armbrust Sehne, soll dir’s
anders glücken,
Nicht weit in’s Blau, nein,
fern in’s Schwarz zu schicken
Den Federbolz, der scharf die
Luft durchsaust.
Wie höher ragen Pyramid’ und
Thurm
Und Monument, so tiefer senkt
man ein
Den dunklen Schaft, hinab in
Erdengrund.
Wohl trotzten Eichen nicht
Orkan und Sturm,
Bärg’ nicht, wie hoch sie ragt
in Aethers Schein,
Sich tief die Wurzel, nah’ dem
Höllenschlund.“
9
Wohlmeinend hör’ ich eure
Warnungsstimme
Von ferne säuselnd durch die
laue Luft.
Wohl recensirt und tadelt
mancher Schuft,
Nicht werth, daß ihm der
Lebensdocht noch glimme.
Doch mächtiger, o Freund, und
sonder Grimme,
Mir eine leise Liebesstimme
ruft;
Das Veilchen ist’s auf meiner
künft’gen Gruft,
Das mahnet sanft, daß ich mich
nicht verklimme.
Wenn dort im Hügel meine Asche
ruht
Und Frühlingslüste um den Rasen
schweifen,
Treibt dort mein Staub ein
Veilchen nur an’s Licht.
Ein Bettlerknabe pflück’s im
frohen Muth
Und drängt am Thor den Wandrer mit
Verkäufen;
O das erhebt den Stolz des
Dichters nicht!
10
Ich sah ein Licht, ein Wort
hab’ ich vernommen,
Ein leises Wort in längst
vergangner Zeit,
Das tief mein Herz bewegt, mich
still gefreut,
Woran mein innres Leben
angeglommen.
Bin ich so weit den Strom
hinabgeschwommen,
Versenkt in Raum und Zeit, so
fern und weit
Dem heil’gen Tag der lichten
Ewigkeit
Und meinem Quell? so tief
herabgekommen?
Kaum nennt Erinnrung mir mit
leisem Flüstern
Das Wort der Rettung, Wonne und
des Heils
Für alle Zeit; rings Schatten
mich umdüstern
Mit Todesgraun. Ein Ziel des
Todespfeils,
Will Himmelswort ich künden den
Philistern?
Und bin doch selbst nicht
sicher meines Heils?
11
Ich selber bin der Docht, der
kaum noch glimmt,
Das schwache Rohr, gebeugt und
halbgeknickt,
Ein Lai und Neuling, plump und
ungeschickt,
Die Perle, schmutzig grau und
eingekrümmt;
Ein Echo, nur so halb das Wort
vernimmt
Und halb zurückgibt, Spiegel,
der verrückt
Und trübe die Gestalt nur
wiederblickt,
Die er empfing, ein Werkzeug
halbverstimmt.
Allein der Geist, den meine
Seel’ erkor,
Facht an das Döchtlein, hebt
das schwache Rohr,
Lehrt Weisheit mich, schafft
silberrein und rund
Der Seele Bild; er heilt mein
innres Ohr
und thut es auf, entfernt des
Spiegels Flor
Und gibt in reinen Harmonien
sich kund.
12
Ich schau in mich, doch mag ich
nicht ergründen
In meines Busens Abgrund, was
ich sei:
Ob gut, ob arg, Gefangner oder
frei:
Wer wird des Räthsels Lösung
mir verkünden?
Ich schau’ auf dich, und sieh,
die Wolken schwinden:
Ach, in der dämmernd weiten
Wüstenei,
Wohl ein verworrnes Viel- und
Mancherlei;
Doch keine würd’ge Früchte kann
ich finden.
Ein Donnerwort erschallt aus
heil’ger Höhe
Laut schmetternd nieder, das
mein Herz erschüttert,
Und mein Gebein in seinen
Tiefen zittert:
„Du bist nur, was du thust;“
weh ob der Nähe
Der ew’gen Wahrheit mir: wie
ich nun sehe,
Bin Nichts ich; all’ mein
Hoffen ist verbittert!
13
Mög’ Jeder erst, ob rein die
Sache, sehen,
Und groß und edel, der er sich
vereidigt,
Werth, daß er mit dem Leben sie
vertheidigt,
Und ist’s nicht so, enteilend
sie verschmähen.
Schlecht ruhet sich’s am Fuß
der Siegstrophäen,
Wenn Feilheit focht, durch
niedern Lohn geschmeidigt;
Der Muth, der Menschen dient
und Gott beleidigt,
Bringt statt der Freuden
Schmach und bittre Wehen.
O selig er, der in der kleinen
Schaar
Der Guten muthig kämpfte mit
der Bösen
Großmächt’gem Heer, ob Sieg, ob
Tod sein Theil;
Ihm reichen Lohn bringt sein
Gewissen dar,
Kein Vorwurf, keine Reu’ ist
dort zu lesen,
Sein harrt als Lohn ein ew’ges,
sel’ges Heil.
14
Oft, wenn Verstand das bess’re
Herz bekrittelt,
Und in dem wilden Zweikampf der
Gedanken
Zuletzt die innern, festen
Säulen schwanken,
Vom Urtheil aller Klugen
angerüttelt,
Faßt tief erschauernd sich mein
Geist und schüttelt
Urplötzlich ab den Wahn der
ird’schen Schranken,
Hohn und Verachtung blickend
sonder Wanken
Auf Pöbel, ob bepurpurt, ob
bekittelt.
Kein halb Jahrhundert mehr,
ruf’ ich mir zu,
So bin ich dieser schnöden Welt
entgangen,
Und all ihr Streiten ist mir
einerlei!
Geborgen ruht mein Staub in
sichrer Ruh’;
Was dann nicht lockt und reizet
mein Verlangen,
Sei Spinnweb’ mir schon itzt
und nicht’ge Spreu.
15
Im Vorhof nur, nicht in dem
innern Raum
Des Allerheiligsten, des Heil’gen
nicht,
Ist des Poeten Platz; kaum
zuckt ein Licht
Des Heiligthums in seiner Seele
Traum.
Anbetend nur im Staub berührt
den Saum
Der Weisheit er; doch zeuget
sein Gedicht
Vom ew’gen Maß, und wenn er
feurig spricht,
Ist’s doch nicht bloß ein
bunter nicht’ger Schaum.
Doch redet er zu eitler Thoren
Schwarm,
Und bricht den Stab ob dem, was
nimmer nütze,
Und zürnt, wo Lüg’ und Laster
ihm begegnen,
Leiht heil’ge Gottheit wohl
auch seinem Arm
Des Himmels Schlachtgeschoß und
Flammenblitze,
Wird scharf sein Wort, wie
Feuer, niederregnen.
16
Ob taumelnd tanze, gleich dem
Bergcyklopen,
Und täppisch thu’, ob, daß ich
überrasche,
Wie Waldesfaun nach Nymphen,
lachend hasche
Nach Klingelworten, Reimen,
Bild und Tropen;
Ob würdig thu’, gleich dem
Kosackenpopen,
Ob Bienen gleich mit Puck in
Blüthen nasche,
Als Licht-Aar steig’, ob Enten
gleich mich wasche,
Ein plumper Bär, dann leicht
gleich Antelopen;
Und welche Mask’ und Roll’ ich
immer spiele,
Und welchen Ton anstimm’ aus
den Registern
Für Mann und Weib und Greis und
für die Jugend,
Fliegt doch mein Wort allweg
zum selben Ziele,
Ob lachend, weinend, rufend, ob
mit Flüstern:
Sein Inhalt ist der heil’ge
Ernst der Tugend.
17
Bei Ernst und Scherz laß Seele
das Gerümpel;
Weh Allen unter Töpfen, Pfannen,
Kesseln
Gebannt, unmuthig in den
Ruhesesseln
Am Fleck, engherzig,
kleingesinnt und simpel!
Weh auch, wenn still du stehst
vor jedem Tümpel
Des Weg’s, verstrickt in
Ranken, Dorn und Nesseln
Gleich klagst und zagst;
zerbrich die schnöden Fesseln;
Sucht Freiheit doch im Käfig
selbst der Gimpel.
Viel Worte macht der Sperling
auch im Röhricht,
Es quakt der Frosch im Sumpf am
Uferschilfe,
Zu ernster That und Entschluß
viel zu thöricht.
Nocht lacht dein Glück; hinaus
mit Spreu und Kehricht,
Dann frei hinan, mit guten
Geistes Hülfe,
Aus Erdenqualm ein
ätherleichter Silfe.
18
Ei hört den Pan auf
wachsgefügtem Rohr
Sanftflötend tiefe Waldeslieder
summen!
Dryaden, Nymph’ und Elfen sich
vermummen
In Farrenkraut und wilder Bäume
Chor.
Hier that sich auf des Friedens
goldnes Thor;
Sanft windet er, fernab von
allem dummen
Und tück’schen Volk, das
mürrisch saure Brummen
Uns aus der Brust undtritt so
licht uns vor:
Am Quell der Grotte unter
dunklen Sträuchen
Sitzt hier der Mann; o seht
doch, was er treibt,
Bald scheint er ernst, bald
fröhlich sonder Gleichen.
Und scheint’s, als wollt’ er
nie von hinnen weichen,
Er sinnt und blickt und ha,
beim Hund! er schreibt,
Dann lacht er auf und sich die
Hände reibt.
19
Ihr wen’gen Edlen, eins mit mir
gesinnt
Im höchsten Streben, bei dem
Strauch der Distel
Durch Waldgeräusch fern tönt
die Hirtenfistel,
Ein Räthsel: wer verlieret, der
gewinnt.
Sanft säuselnd trägt’s heran
der Frühlingswind
Zu innerm Ohr durch Strauch und
Baumgenistel,
Das Thema sei’s von meiner
Waldepistel;
Tief fühl’ ich: wer verlieret,
der gewinnt.
Wahr ist’s: nur welcher gibt,
ihm wird gegeben,
Und welcher gibt, muß etwas
wohl verlieren,
Daß er empfang’; es gilt für
alles Leben.
Auch welcher hat, empfängt wohl
nach Gebühren:
Den würd’gen Herrn wird größrer
Reichthum zieren,
Es muß der Schatz nach seines
Gleichen streben.
20
O Herz, mein Herz, hier fern
dem Weltgetümmel,
Wie süß die Einsamkeit in
schatt’ger Schlucht,
Zu steigen durch’s Gebirg von
Kluft zu Kluft,
Umgeben von der Wesen Lustgewimmel.
Süß tönt von fern der Glocken
leis Gebimmel,
Der tiefe Ton, auf sanfter
Frühlingsluft;
Leis rauscht der Wald, hoch her
der Habicht ruft;
Ja einsam stehst du zwischen
Erd’ und Himmel.
Und doch umgeben himmlische
Gewalten
Nicht tröstend lind dich oft,
ziehn aus dem Grund
der stillen Thäler nicht die
Lichtgestalten
der hohen Vorzeit oft mit süßem
Walten,
sanftlehrend her, und geben
sich dir kund
Mit Worten, wie aus ew’gen
Geistes Mund?
21
Entbrennt der Morgen zwischen
Felsenritzen,
Vergoldend roth das dunkle,
feuchte Moos
Im Perlenthau, weckt er im
nächt’gen Schooß
Des Hains die Vöglein, die noch
träumend sitzen,
Mit seines muntern Auges
Flammenblitzen,
Bis Alles fühlt des Daseins
frohes Loos,
Wie wird’s im Innern friedlich
still und groß
Mir da beim Morgenwehn in
Baumesspitzen!
Doch, ach, so süße Wonne währt
nicht lange!
Vor Mittag weht’s von
Schneegebirges Höhn
Kalt schaurig her, und
Staubeswirbel gehn
Durch Feld und Flur, gleich
einer grauen Schlange,
Unmuth und Qual umschlingt das
Herz und bange
Muß ich vergebens süßen Frieden
flehn.
22
Fried bringt der Morgen;
dunkler Tannen Spitzen
Erglühn in seinem Sttrahl, vom
West geregt.
Stumm steht im Thau, vom
Luftzug kaum bewegt,
Der untre Wald und sieht’s hoch
oben blitzen.
O könnten wir den stillen
Frieden schützen,
Den, einem Himmel gleich, in’s
Herz uns trägt
Der Morgenwind! Kaum auf den
Bergen legt
Der Mittag sich, schon muß uns
Zorn erhitzen.
Unfriede bringt der Tag; Lust
und Begier,
Des Herzens unersättlich
Dichten, Trachten,
In’s ungemess’ne Reich der
Möglichkeit
Reißt uns aus jenem sel’gen
Lustrevier,
Drin morgens wir in
Gottesstrahl erwachten,
Und stößt hinaus uns in die
wüste Zeit.
23
Der Tag gehört der Zeit, der
Ewigkeit
Die stille Nacht; auf
himmlischem Gefieder
Mit kühlem Thau auf Baum und
Blüthe nieder
Steigt Gottes Fried’ und söset
jeden Streit.
Und innen macht zur Wohnung er
bereit
Des Menschen Herz und scheucht
des Irrsals Hyder;
Und ist’s, als blüht’ das
Paradies dort wieder,
Wo selbst der Herr lustwandelnd
sich erfreut.
Wie ist das Herz der dunkeln,
niedern Welt
Und ihrem Wahne und der Zeit
verschlossen,
Und nur des Himmels heil’ger
Pforte offen!
Wie ist ihm Wahn und
Leidenschaft vergällt!
Mit Engeln spricht’s auf
heil’ger Leiter Sprossen
In stiller Nacht von Lieb’ und
ew’gem Hoffen.
24
Ja, dies azurne Luftgewölb’,
den Dom,
Mit heil’ger Sonnenampel licht
und hehr
Geziert, des Feuerlichtes
Wonnemeer,
Das Leben gibt, ein
unermess’ner Strom,
Vom Menschen bis zum flüchtigen
Atom
Erhöhend Leben aus der Nacht ringsher:
Schaut einst auch Sokrates
entzückt; doch er
Sah nur des Abbilds dämmerndes
Phantom.
Das Urbild kannt’ er nicht; die
geistessonne
Lag dämmernd noch in ferner
Zukunft Schooß.
Er sah die Sonne, und er sah
sie nicht,
Wie wir sie sehn; doch kündet er
mit Wonne
Den Tag des Aufgangs, sel’ger
Tugend Loos,
Gerechtigkeit, den Strahl vom
ew’gen Licht.
25
Ich blick’ umher auf aller
Wesen Schaar,
Wald und Gebirg’ und auf der
Felsen Zinken:
Der Himmel ist, so sprechen sie
und winken,
Sein Tempel und die Erde sein
Altar.
Allein wer bringt das hohe
Opfer dar,
Läßt auf dem heil’gen Heerd’
die Gabe blinken,
Vor ihm anbetend in den Staub
zu sinken,
Dem Herrn der Welt, der sein
wird, ist und war?
Ich bin’s, der Mensch; und
keine andre Gabe
Rings von der Kreatur empfängt
der Große,
Unnennbare, als ein
zerschlagnes Herz
Voll Demuth und Vertraun. Her
solche Gabe!
Er hat nicht Freude an der
Kraft der Rosse,
Doch huldvoll blickt er auf der
Reue Schmerz.
26
Wiegt sich die Lerche hoch in
Aethers Bläue
Und schmettert steigend noch,
entzückt ihr Lied,
Bis, unerreicht selbst
Adlerblick, sie flieht:
Wohl mächtig sehnt sich dann
das Herz in’s Freie.
Aussprechen möcht’ es seine
Lieb’ und Treue
Dem Ew’gen nah’, von Inbrunst
heiß entglüht,
Wo unerreicht vom Menschenaug’
es sieht
Gott und das All in ew’ger
Weisheit Maie.
Allein die Lerch’ ist nicht der
Gottheit näher,
Noch einem Stern, der fernher
dämmernd winkt:
Unendlichkeit ob ihr und unter
ihr.
Am Boden schwingt das
Menschenherz sich höher:
Ein Flügelschlag, und Licht der
Gottheit trinkt
Es über Zeit und Raum im
Zeitrevier.
27
Ihr, die ihr lebtet in
vergangnen Tagen,
Und trugt, wie ich, des Lebens
Freud’ und Leid,
Noch lebt in Gott ihr einig
unzerstreut,
Der Menschheit Krone: nimmer
will ich zagen.
Und ihr, die noch der
Menschheit Freud’ und Plagen
Verkosten sollt, gebannt in
diese Zeit,
Schon lebt vor Gott ihr, der
von Ewigkeit
In seinem Sohn euch sah und
euch getragen.
Durch ihn, in ihm, an ihm, dem
einen Haupt
Der Menschheit, drauf mit
Wohlgefallen ruht
Der Vater, bin ich innig euch
verbunden.
Ihm hab’ ich hoffend, liebend
fest geglaubt;
Drum seid ihr nah’ mir in dem
höchsten Gut,
Wo das Verlorne ewig wird
gefunden.
28
Wie sehnen wir zurück der
Unschuld Tage
In spätrer Zeit, von Müh’ und
Arbeit heiß;
Wer’s Leben kennt, und, was wir
wissen, weiß,
Wünscht wohl, daß ihn zurück
sein Engel trage.
Und in der Kindheit, da
erscholl die Klage
Ob unerträglichem, eintön’gem
Gleis’
Und enger Schranke, strebten
wir mit Fleiß
Zur Zukunft hin, daß dort es
uns behage.
Und aus der Einheit zu der
Vielheit sehnt
Die Seele sich; dann bebt sie
kalt, mit Weinen
Zurück sich wendend nach des
Vaters Schooß.
Im Leben sucht sie Tod, dann
schmerzbethränt
Im Tod das Leben, schmachtend
nach dem Einen
Und preist des Innebleibens
sel’ges Loos.
29
So leb ich hin, tief ruht in
ihm mein Herz,
Von Lust an ihm und seinem Werk
entglommen;
Oft geht’s bergab, bald wird
hinangeklommen,
Bald in die Fremde geht’s, bald
heimathwärts.
Und oft bedenk’ ich froh im
halben Scherz,
Was kommt wohl nächst im Strohm
herangeschwommen?
Ist’s neu, ist’s doch auch alt,
was auch mag kommen,
Und sicher gut, sei’s Freude
oder Schmerz.
Und doch im Grund ist ewig jung
und neu
Allein, was sein wird, ist und war,
das Alte,
Wie seine Wirkung stets sich
auch verhalte.
Dran halte, fest anhängend dich
und treu,
Lieb’ es und brauch’ das
Fliehende, und frei
Bist du, ein Göttersohn; der
Vater walte.
30
Verbittert nicht das kurze süße
Leben
Durch Zorn und Streit und wüste
Traurigkeit;
Sei Fried’ und Frohsinn stets
uns zum Geleit,
In deren Näh’ die Tage sanft
entschweben.
Erhöhtes Glück und froheres
Ergeben
Am Tag des Mißgeschicks die
Liebe leiht,
Wo unser Herz der Liebe sanft
geweiht:
Licht wird das Sein, gemäßigt
das Bestreben.
O schafft in Frieden und
Gerechtigkeit
Eu’r Werk als frohe und gesunde
Leute,
Veredelnd jeder Stunde frohe
Beute!
Und wenn von Lieb ihr recht
getränket seid,
Kommt Alles euch zu gut und
Jedes beut
Euch eine heitre, intressante
Seite.
31
Oft aus des Aeußern Wirrwarr,
Ruh’ zu finden,
Zu innerm Seelenraum die
Geister fliehn;
Doch heftiger nur Zank und
Streit erglühn
Tief in der Brust und Aufruhr
laut verkünden.
Und wie Cyklopen in des Aetna
Schlünden
Anfachen hell die Gluth an dem
Kamin,
Die Hämmer rastlos schwingend,
heiß im Mühn
Der Donnerschmiede Werkstadt
wild entzünden:
So Zweifel, Zorn und trübe
Leidenschaft.
Allein die Seele als Hephästos
stillt
Den Lärm und weiß rings Ordnung
zu gebieten;
Schnell nützt sie selbst die
rohe, wilde Kraft,
Und reich geziert steigt ein
Achilleusschild
Voll goldner Fabeln aus der
grausen Schmieden.
32
Nimm hin den Schild in zierlich
goldnen Bildern,
Auf Silbergrund gemeißelt rein
und schön,
Sinnbildet er dir der Gebote
zehn;
Trag’ ihn und nie wird deine
Kraft verwildern.
In zehnfach abgetheilten
Feldern schildern
Figuren dir, was groß vor dem
geschehn;
Was schön und edel, sieh’
gereiht dort stehn.
Führ’ ihn als Mann, so wird
dein Sinn sich mildern.
Dann nimm zur Hand des Glaubens
heil’ges Schwert,
Schön sei dein Haupt vom
Hoffnungshelm bedeckt,
Der Liebe Hauch beflügle deine
Schritte.
So führ des Herren Ruhm, er ist
es werth,
Betritt die Bahn des Helden,
ungeschreckt
Zum Ziel dich schlagend durch
der Feinde Mitte.
33
Ein bleibend Gut sucht’ ich in
der Zerstreuung,
Im Treiben großer Welt, voll
bittrer Qual;
Wie abgenutzt, wie ekel, leer
und schal
Schien Alles mir! Laut rief ich
nach Befreiung.
Und zürnend warf ich jegliche
Verleihung
Von seiner Hand zurück dem
großen Baal,
Dem Geist der Welt; und Friede
suchend stahl
Ich mich hinaus und hoffte auf
Erneuung.
Die ist mir worden. Ehre, Dank
und Preis
Sei ihm, den ich zuvor nur halb
gekannt,
der meine Unschuld mir
zurückgegeben,
Der mich erlöst, von dem ich
einzig weiß.
Ich trien im Sturm. „Hier“, rief
er, „Hier ist Land,
Ich bin der Weg, die Wahrheit
und das Leben!“
34
Ich floh hieher, weil ich den
Koth muß hassen,
Der unerträglich sich erzeugt
geschwind,
Wo viele Menschen bei einander
sind,
In wirrer Stadt, auf Kreuzweg,
Markt und Gassen.
Wie dort viel’ Füße reinlich
nicht belassen
Den reinen Pfad, so überhand
gewinnt
Gar bald der Schmutz, wo
Zungendrescher blind
Und Pflastertreter lang’
beisammen saßen.
Ihr Hauch verpestet in dem Saal
die Luft,
Eng’ ist’s und schwül, und
jeder gute Name
In ihrem Munde wird gar bald
beschmutzt;
Ob jeden Ehrenmann schilt jeder
Schuft,
Breittreter jeden Quarks sind
Herr und Dame.
O Schmutz, o Schmutz, wie sehr
sie auch geputzt!
35
O, besser lebt sich’s hier, wo
Quell und Eicheln,
Waldbeer’ und Wurzeln bieten reine
Kost;
Sanft weht die Luft in’s Herz
mir Himmelstrost,
Und harmlos ist der Winde
kosend Schmeicheln.
Nicht kennt Verrath der Zweig,
wenn er mit Streicheln
Des Wandrers Wange kühlt und
freudig kos’t;
Berg, Thal und Quell und
Felsen, grünbemoost,
und Blum’ und Baum kennt
Frechheit nicht, noch Heucheln.
Gastfreundlich sind die Berge,
Thal und Wälder,
Ein Lustgezelt, für Tausend
aufgeschlagen,
Und alle Stämme trefflich sich
vertragen.
Nicht neiden sich die Blumen
rings der Felder
Mit Bosheitsblicken. Ohne Gut
und Gelder
Trinkt man des Daseins Becher
mit Behagen.
36
Ja, Freund, Preis sei der Liebe
Himmelsbanden
Und echter Freundschaft. Längst
der Welt zum Raube
Wär’ schon an sie der
hochbeglückte Glaube,
Wo nicht wir früh uns froh
einander fanden.
Wohl klingt ihr Name hoch in
allen Landen,
Allein sie selbst? – Wohl uns,
aus dunklem Laube
Ließ uns ein Gott die volle,
reife Traube
Ans’s Licht, und gab uns, daß
wir sie verstanden.
Schon nahe war ich in der Welt
zu leugnen
Der Freundschaft Götterbild, an
sie zu glauben
Nur höchstens noch, wie das, so
man nicht sieht.
Da wollte ew’ge Vorsicht dich
mir eignen,
In dir der Tugend Bild zu sehn
erlauben:
Ich glaubt’, ich schaut’ und
jubelnd scholl mein Lied.
37
Auch heilig lebt in mir das
Angedenken
Der ersten Jugendliebe; wenn
ein Strahl
Von ihr sich durch’s
Gedankendickicht stahl
Aus der Erinnrung Gitter, sanft
zu lenken
Dorthin mein Herz, o Freund,
wie selig senken,
Den Bienen gleich in’s volle
Blüthental,
Sich plötzlich in die Zeit der
Wonn’ und Qual
Die Geister mir, das durst’ge
Herz zu tränken!
O Zeit der Innigkeit, wo ich
erfuhr,
Wie mehr in Andern, denn in
uns, zu leben
Beglückend sei, wie Nehmen
nicht, wie Geben
Der Liebe sel’ges Thun und
Wonne nur.
Der ew’gen Schönheit
irdisch-lichte Spur
War jene Zeit. Stets wird sie
mich umschweben.
38
Laß, Freund, noch einmal uns zu
Kindern werden,
Dieweil um uns, des Stolzes
muth zu kühlen,
Die Weisen rings den Mann und
Helden spielen,
Verspottend Kinderschuh’ mit
Hohngeberden.
Die Menschheit rang in Mühen
und Beschwerden,
Der Göttersitz selbst wollte
sie erziehlen,
Indeß ein Gott, um unser Leid
zu fühlen,
Zum Kinde ward, der Hirte
seiner Heerden.
Soll unser Geist hoch unter
Sternen wandeln,
Da unser Gott, ein Kind, in
Knechtsgestalt
Uns zu beglücken, unter
Menschen wallt’?
Laß kindlich glaubend treu in
Lieb’ uns handeln;
Dann sicher stillt des Herzens
Drang sich bald,
Von seiner Engel Friedenslied
umhallt.
39
Vergänglich ist, was fern noch
sel’gen Höhn
Hienieden pilgert an des Todes
Grenzen;
Gleich Frühlingsprimeln,
dunklen Veilchenkränzen
Voll Glanz und Duft, so
schneller zu vergehn.
Wo ist der frohe Schwarm bei
Festestänzen,
Die einst bei Klang und Liedern
morgenschön
Im Glanz der Lieb’ und Jugend
wir gesehn
Um uns, mit uns, voll sel’ger Hoffnung
glänzen?
Zerstoben ist der Jugendfreunde
Schaar,
Der Kranz zerrissen, welcher
fest gewunden
Den Muntren schien für alle
künft’ge Zeiten.
Wohl Manche brachten schwere
Opfer dar
Und tragen blutend tiefe,
schwere Wunden,
Nur sehnend her den Tag der
Ewigkeiten.
40
Vergiß nicht, Seele, aus dem
Staub der Erde
Bist du geformt durch des
Allmächt’gen Hand;
Nach ihm, zu ihm von
Todesschlundes Rand
In’s Licht gebracht durch
seines Mundes „Werde!“
Sein Geist, er lebt in deiner
Lichtgeberde:
Er gab dir Willen, Liebe und
Verstand;
Du glichst dem ungeschliffnen
Diamant,
Bis er dich kohr zu seines
Geistes Herde.
Bedenk’, o denk’ an jedem neuen
Morgen:
Es liegt in dir der ew’gen
Weisheit Strahl,
Der heil’gen Gottheit Ebenbild
verborgen.
Such’ nur für diesen Edelstein
zu sorgen.
Weh, wenn die Lust Verstandes
Gut dir stahl!
Unendlich ist der Will’ und
seine Wahl.
41
Die Weisheit ist ein lichter,
heil’ger Spiegel
Hoch über uns; die Seel’ ein
Bergkrystall;
Hinaus, tief unter uns, in’s
weite All
Hindringt ihr Strahl mit ew’gen
Lichtes Flügel.
Und in den Tiefen bricht sie
jedes Siegel
Und kehrt zurück mit Licht und
Jubelschall
Zur Seel’, abprallend von der
Wesen Wall,
Dann faßt der Geist sie wie mit
Zaum und Zügel.
Und ordnend, sammelnd, daß er
sie befreie,
Nimmt er sie freudig auf in’s
innre Sein
Und führt sie in das obre wesen
ein,
Daß dran die Gottheit ewig sich
erfreue,
Ein Wiederschein vom ew’gen
Tages Schein,
Drin sich das Werk im Ebenbild
erneue.
42
Schau dich und Alles in dem heil’gen
Spiegel
Dreiein’ger Gottheit, wo die
ew’ge Welt
Von Ewigkeit vor ihren Blick
gestellt,
Dort lösen sich des Lebens
heil’ge Siegel
Flieh auf zur Weisheit, sie
verleiht dir Flügel
Entzückter Andacht, wenn es ihr
gefällt,
Die Alles schuf und lenket und
erhält
Und segnet, auf und laß die
niedern Hügel!
Ihr Bild ist deine Seele; die
befeuchtet
Die Berge, stille Thäler, Hain
und Flur,
Tröstet auch dich, und deinen
Geist erleuchtet.
Sie glänzt im Antlitz jeder
Kreatur.
Preist sie, die vor ihr euch
freudig beuget,
Die Norm und Form der Geister,
der Natur.
43
Geheimniß war ob jenes Spiegels
Glanz;
Dreiein’ger Gottheit
unerforschtes Wesen,
Die sein wird, ist und ewiglich
gewesen,
Sie sprach nur durch des
Lichtgestirnes Kranz.
Geheimniß war die Tiefe gar und
ganz,
Draus die Lebendigen zum Licht
genesen,
Die Nacht des Nichts, so
Allmacht auserlesen
Zum Mutterschooß für aller
Wesen Tanz.
Ob uns, tief unter uns,
Geheimnißnacht.
Da kam das Wort herab; sein
Licht erhellt
Die Welt und löst des Weltalls Hieroglyphen.
Dreiein’ger Gottheit
Strahlensonne tagt;
Durch seinen Geist forscht
unser Geist die Welt,
Der Schöpfung Rath und selbst
der Gottheit Tiefen.
44
Geheimnißvoll ist Gottes
Offenbarung;
Und offenbar in ew’ger Weisheit
Licht
Göttlich Geheimniß hell zu Tage
bricht,
So lang’ verborgen, und es wird
Erfahrung.
Gottes Geheimniß ist des
Geistes Nahrung;
Im Dunkeln leuchtet, in der
Stille spricht
Das ew’ge Wort. Beglückt, in
wem es siegt,
Erkannt, geübt in heiliger
Bewahrung.
Erkenntnißlicht zeigt das
Geheimniß klar,
Anbetung ehrt die dunkle,
heil’ge Nacht,
Bebt vor des Abgrunds
unerforschter Tiefe.
Geheimniß Gottes hehlt und
zeigt, was wahr,
Was ewig gut und schön und
selig macht;
Der Gottheit Tag birgt seine
Hieroglyphe.
45
In stiller Nacht, wo um mich
Alles schwieg,
Wo todesstumm rings Thäler,
Wald und Hügel,
Wo, was da lebt, wie unter
Todessiegel
Begraben, nach des Tages wirrem
Krieg,
Stand einsam ich; da däuchte
mir als schlüg’;
Indem ich sah tief in des
Geistesspiegel,
Die Ewigkeit sanft wehend ihre
Flügel
In meiner Seele, wo sie
niederstieg.
Und sie endband der Seele erste
Schwingen
Und lud sie aus der Zeit hinaus
zu gehn;
Nah’ fühlt’ ich ihres Odems
himmlisch Wehn,
Der ew’gen Fluren Düfte mich
umfingen;
Und Sterne glänzten,
Thurmesuhren gingen;
Doch hab’ ich nichts gehöret
noch gesehn.
46
Im Schlaf ward ich vom
ird’schen Traum umstrickt;
Im Schlaf muß sich der Tag
hernieder neigen,
Der ewig festen Welt in
Traumes-Gleichen,
Der mich dem Kreis der ird’schen
Welt entrückt.
Beglückt, wen einmal jener
Blick durchzückt,
Sich ew’gen Lebens Glorie
mochte zeigen;
Ein ferner Abglanz bleibt der
Seele eigen,
Die rettend ew’ge Huld so
hochbeglückt.
Ihr bleibt in ihres Leibes
Schläferhöhle
Ein Bild des wachen Seins, der
ew’gen Zier,
Die der Stadt Gottes ew’ge
Zinn’ umleuchtet.
Dies Abbild von dem Urbild in
der Seele,
Das Urbild ist’s des Werks im
Zeitrevier,
Das liebend ihr erstrebt, doch
nie erreichet.
47
Wie muß es sein, wo aller Krieg
und Streit,
Wo Haß und Zwietracht ewig nun
zu Ende,
kein Licht erscheint, das
täuschend uns verblende,
Wo keine Nacht zu irren mehr
bereit;
Wo unsre Herzen keine Sünd’
entweiht
In Sorg’ und Sehnsucht,
schmachtend im Elende,
Wo alle Seelen reichen sich die
Hände
Zu ew’gem Frieden, wie auch
einst entzweit;
Wo in dem Dom der
Unermeßlichkeit
Die ew’ge Lampe in der heil’gen
Blende
Im Mittelpunkte glüht mit
Friedensspende,
Und Licht und Trost für jedes
Herz bereit.
O, Nacht und Kerkerluft,
Gefängnißwände
Und Ketten! Seele, dieses heißt
die Zeit.
48
In stiller Nacht, als Schlaf,
der Sorgensühner,
Mich sanft umfing, Wach’
haltend an der Thür,
Sah ich im Traum Wolf, Leu und
Pantherthier;
Und mir erschien der große
Florentiner
Gesenkten Haupts, gelehnt am Stab,
doch kühner
Den Flammenblick, als er im
Wachen mir
Begeistert je geblickt;
durchbohrend schier
Sah er mich an, als keines
Menschen Diener,
Und sprach: „Bleib’ ferne von
dem Weltspectakel,
Tauchst du hinein, nicht
bleibst du ohne Makel;
Lausch’ nicht des Weltgweists
nächtigem Orakel!
Lausch’ Engelsstimmen, deines
Herzens Weckern
Aus lichter Höh’, den Welt- und
Teufelsschreckern,
Und laß nach Lust den alten
Geißbock meckern.“
49
„Laß tief im Grund den alten
Maulwurf scharren,
Den Weltgeist blind, den
rüst’gen Pionier!
Ihm lausche, was ihm zugehört;
nicht dir
Ziemt’s Offenbarung dorther zu
erharren.
Weh’ dem Gezücht, den ewig
blinden Narren;
Ein Lichtstrahl aus der ew’gen
Weisheit Zier
Von heil’ger Taube
Flügelschwung, und schier
Zu Felsensteinen müßten sie
erstarren.
Du aber rein’ge dich und tritt
vor Gott,
Spricht er zu dir: Tritt
aufrecht auf die Füße,
Daß Heil und Kraft sich licht
in dir ergieße;
Dann fleh’, daß er den Lindwurm
mach’ zu Spott,
Daß er durch dich das Ungeheu’r
erschieße,
Du opfern mögst vor ihm mit
seinem Vließe.“
50
„Als ich den hohen Weltgesang
gesungen,
Der dich geführt durch Himmel,
Hades Hölle,
Wozu mir Leier, Pinsel,
Maurerkelle
Ein Engel bracht’, auch ich war
hart umrungen.
Doch hat mein Geist sich
plötzlich umgeschwungen
Durch Allmachtsgnad’ in ew’gen
Tages Helle.
Nicht Furcht, noch Feigheit
kannt’ ich da zur Stelle,
Als mir das Wort des Herrn
„zieh hin“ erklungen;
Und vom Moment, ob wachend, ob
ich schlief,
Sich klar der Geist, fest sich
die Hände zeigten,
Sicher der Blick und zweifelnd
nirgend nicht.
Nur Gottes Auge sucht’ ich
strets und rief:
Herr, laß dein Auge, Licht und
Kraft mir leuchten,
So hab’ ich Muth und Trost und
Zuversicht!“
51
„Er schafft den Tag, ruft aus
dem Rauch das Feuer
Im Glanz hervor; er einet, was
entzweit,
Entzweit, was eins; er breitet
jeden Schleier,
Kein Andrer lüftet ihn hier in
der Zeit.
Die Oed’ ist sein, sein jede
Festesfeier,
Sobald er winkt; er führet in
den Streit
Das Leben ein; Erlöser und
Befreier
Ist er allein in alle Ewigreit.
Ihm ist die Nacht, wie Tag, und
Mißklang tönt
Ihm Harmonie, der schon am Ziel
erschaut
Des Lebens ew’ge Einheit und
Vollendung.
Er schuf das Herz, das heiß
nach ihm sich sehnt,
Er hat’s sich und dem
Zeitenstrohm vertraut;
Herz, sei gedenk der hohen,
heil’gen Sendung!“
52
„Er setzte uns in Mitte dieser
Dinge;
In mitte der Begebenheiten trat
Die Seel’ an’s Licht, rings
gut’ und böse Saat,
Auf sein Gebot, daß sie ihm
Früchte bringe.
Ihr gab sein Geist die heil’ge
Himmelsschwinge,
Den Lichtgedanken, Wollen,
Kraft zur That.
Und seinen Auftrag, seine Rolle
hat
In seinem Epos Vornehm und
Geringe.
Und Jeden leitet er auf seine
Weise
Zu seinem Ziel, wo Alle einst
ihn sehen,
Ob anders auch und mit
verschiednem muth.
Und scheint dir oft die Welt
aus dem Geleise,
Gott trägt sie; wie die Dinge
einmal stehen,
Ist sicher drum sie immer noch
sehr gut.“
53
Er sprach’s und sah mich
lauschen ihm mit Lechzen,
Und wie er sprach ward mein
Verlangen größer
Nach Mehrerem; stark fühlt ich mich
und besser,
Zu kämpfen mit Sechshundert,
als mit sechzehn.
„Klingt gleich dein Lied,“
sprach er, „wie Rabenkrächzen,
Westfale, aus dem Land der
deutschen Fresser,
Wo die Vokale, an dem Hals das
Messer,
Aufquikend schrein, die
Konsonanten ächzen:
Sei drum nicht träge du, gleich
faulen Wespen,
Sei doch nicht feig, den
Blättern gleich der Espen,
Gleich nicht im Korn dem
Unkraut schnöder Trespen.
Sing’ Wahrheit mind’stens mit
barbar’scher Zunge,
Und sprich, was recht, mit
mächt’ger, freier Lunge,
Und fass’ als Leu die Beut’ im
kühnen Sprunge.“
54
O Dante!
sprach ich, wem du zugesprochen,
Gewalt’ger Geist, der singt
nicht mehr von Veilchen,
Zephyren, schönen Augen, süßen
Mäulchen;
Denn Höhrem wird sein Herz
entgegenpochen.
O seine Muse hat gar bald
gebrochen
Mit Amor’n, Amoretten; wohl ein
Weilchen
Füllt’ ich mit solchem Unsinn
meine Zeilchen;
Doch hat mir Scham die Thorheit
längst gerochen.
Denn was die Welt um mich rings
Liebe nennt
Und Poesie, ist ekel meinem
Munde
Seit lang’ und scheint ein alt
und schlecht Gerümpel;
Beatrix wies auch mir ein
Element;
Vom Tag der ew’gen Liebe gab
sie Kunde;
Ein Aar nur langt dahin, allein
kein Gimpel.
55
„So lob’ ich dich, recht,“ sprach
der Italiener,
„Ich seh’, stolz bist du,
eifrig und gelehrt,
Doch eitel nicht, du hassest,
was verkehrt,
Schlecht und gemein, ein
Pöbelgunstablehner.
Schlag’ zu mit scharfwem Worte,
sei Verhöhner
Der Stümper und Philister;
zeig’ dein Schwert,
Wer schlecht im Volk und noch
der Hiebe werth;
Schlag’ zu und triff, je
rascher, um so schöner.
Laß aus die Füchs’ in der
Philister Saat,
mit Fackelbrand zu Paaren
lustig springen
In’s Korn, den Eselskinnback
stark gefaßt.
Und wenn sich rein der Platz
gelichtet hat,
Magst wahren Göttern du ein
Opfer bringen
Und nach der Arbeit feiern
Heldenrast.“
56
Bei solchem Wort schlug hoch
mein Herz und kühn,
Wuchs ich an Kraft und späht’
ich tief im Traum
Nach Schild und Waffen; ich
ertrug es kaum,
Des Herzens göttlich-feuriges
Erglühn.
Doch wie beim Morgenstrahl die
Nebel fliehn,
Schwand das Gesicht und in der
Grotte Raum
Blickt’ ich umher; von des
Gebirges Saum
Sah ich durch’s Laub die
Strahlen röthlich ziehn.
Süß war’s, der nächtlichen
Gestalt zu denken
Und ihres Worts; doch mich
befiel ein Zagen,
Dacht’ ich des Werks, Freund,
laß es mich gestehn.
Ja reden muß ich, will ich
selbst nicht kränken
Mein Herz, im Busen; muthig
will ich wagen;
Wird auch kein Mensch, wird
doch mich Gott verstehn.
57
O meine Seele sehnt sich nach
Musik,
Wie einst der Himmelsweisheit
Hochverweser,
Ein Sokrates und Plato sprach,
o Leser,
Bei Froschgequak und Satans
Chorgequik.
Und schau ich auf und um mich,
welch ein Blick!
Ein Eselheer durch Haide, Staub
und Gräser
Jahnt den Korb voll
Apotheker-Gläser,
Die werder Schnupfen heilen,
noch Kolik.
Logiker, scheint’s, und freche
Formelnkrämer,
Grammatiker und Philologen,
leer
Des Geist’s die Töpf’, und
stolz auf ihre Bürde.
Wo blieb der Inhalt,
Distelbartabnehmer?
Wo Geistesheil und Licht? Wohl
tragt ihr schwer
An Formen; doch wo blieben
Würd’ und Zierde?
58
Ihr richtet schnell und scharf,
behauptet und
Enthauptet rasch, wie’s euch
bedünket schön,
Schön oder rauh und häßlich
anzusehn,
Und gebt des Herzens Sinn und
Urtheil kund.
Köpft immerhin mit Feder, Zung’
und Mund,
Was nimmer euch in Kopf und
Herz will gehn;
Doch wißt: Verachten ist noch
nicht verstehn,
Wie leicht nicht schwer, und
flach nicht auf den Grund.
O glaubt, zu euerm Hohn und
offner Schande
Wird in den Todten Honig sich
erzeugen,
Die ihr erschlugt, ihr seht’s
mit bangem Schweigen. –
Und speisen werden sie die
Leut’ im Lande,
Die ihr verhungern ließt, und
aus dem Brande
Der Todten wird ein heil’ger
Phönix steigen.
59
Gesetzesmacher, Menschenwohlverkünder,
Was sollen wir mit eurem
Schalksverbessern,
Den Babelsthürmen, lufterbauten
Schlössern,
Der Rechnung ohne Wirth, nur
Spiel für Kinder?
Gelang es nicht dem Herrn, euch
dann wohl minder,
Selbst sein Gesetz, trotz
Feuer, Strick und Messern,
Schärft Unrecht nur, konnt’
Sünde nur vergrößern,
Bis Gott erschien zu sterben
für die Sünder.
O liebet, liebt! denn alles
Jammers Stillung
Ist hier gelegen; faßt den
heil’gen Zunder
Der Lieb’, die freudige
Gesetzerfüllung,
Verlaßt den Markt der Welt sammt
allem Plunder,
Wir, neu erbaut in Christ, wir
sind das Wunder:
Es winkt; o sucht’s in Asch’
und Sackverhüllung.
60
O jene Rosse, die so leicht den
Wagen
Hinspringend ziehn, sie ziehen
wohl nicht schwer.
So eure Worte, kündend „Wagen
leer“
Und „mit Gedanken hat’s nicht
viel zu sagen.“
Ihr nennt euch Denker, selbst
euch zu ertragen
Und eurer Leerheit stete
Wiederkehr,
Als ob eu’r Geist der Sand im
Glase wär’;
Papierne Drachen Eichen
überragen.
So sprengt zur Zukunft ihr mit
lautem Schwarme,
Mit Schellenlärm und goldnen
langen Strängen,
Umwölkt den Tag mit Wirbelstaub
und Nebel.
Laut jauchzt der Narr; der
Weise sieht’s mit Harme,
Wie Gassenbuben euern Zug
umdrängen,
Und „Hurrah“ ruft der Zeitgeist
und sein Pöbel.
61
Weg mir vom Hals, lügst du die
Talismane,
Die ich gekauft und rechtlich
mir geeignet,
Nachdem du Spang’ und Gurt mir
weggeleugnet,
Die ehrlich ich geerbt von
meinem Ahne!
Dann leugst du mir mit der
Läster-Zung’ und Jahre
Als Dolch und Hammer, was sich
nie ereignet,
Dem Armen an; und rabenschwarz
bezeichnet
Wird Brust und Hals sogar dem
weißen Schwane.
Kühn, gleich des Pfauen
Spiegelschweif, entfaltet
Sich deiner Rede Argus-Pracht;
nicht rauben
Darf dir ein Mensch den Lorber
deiner Siege.
Du sprichst: In mir allein hat
sich’s gestaltet,
Was ich verkünd’ und bin. Ich
will dir’s glauben,
Denn, was du sprichst und bist,
ist nichts als Lüge.
62
Komm, Wahrheitsfreund, und
seist du arm, ob reich,
Ob schön, ob häßlich, ob des
Mantels Falten
Purpur und Gold, ob kaum
zusammenhalten,
Arm und zerlumpt, o komm, du
bist mir gleich.
Ob heilig, ob ein Sünder, stark
ob feig,
Blöd oder hell im Geist, dich
laß ich schalten
In meiner Brust; auf, laß ein
Mahl uns halten
Bei Brod und Wasser, uns ein
Königreich!
Eins sind im Hasse wir, die
Pest der Lüge
Darf uns nicht nahn; es wohnt
in uns ihr Schrecken,
Der Wahrheit Liebe, die uns
liebt und schützt.
Was uns auch fehlt und was wir
fehlten: Siege
Sind unser, die mit Lorbern uns
bedecken,
Drob unser Blick die Lüg’ zum
Abgrund blitzt.
63
Wär’ ich euch Zungen fern, die
nur beschimpfen
Ihr Edles könnt, o ferner euch,
Verhastern,
Die Lasters-Wang’ mit
Schönheitsfleckchen pflastern,
Ob unbescholtner Tugend
naserümpfen.
Euch selbst verklagt solch
böslich Verunglimpfen,
Eu’r Lob der Tugend zähl’ ich
zu den Lastern,
Was rein und gut, in eurem Mund
verbastern
Mußt es sofort; laßt, milde
Stämm; euch impfen.
Vergebner Rath! O wär’ ich ewig
fern
Denn eurer zungenglatten
Außenseite,
Wo’s drinnen knirscht und
knarrt und kreischt und kracht!
O folgen möcht’ ich meines
Lebens Stern,
Und einsam fliehn in
allerfernste Weite,
Nur lauschend einem Wort in
stiller Nacht
64
Laß mich allein auf deine Größe
stützen,
Mein kleines Herz; sie steht in
Feuerlettern
Am Himmel, in der Erde tausend
Blättern,
In meiner Brust mit Schrift aus
Flammenblitzen.
Jahrtausende auf unerreichten
Spitzen
Der Felsgebirge möcht’, umhallt
von Wettern,
Umtobt vom Sturm, wo Blitze um
sich schmettern,
Dich denkend, fern der Welt,
ich einsam sitzen.
Wo man nicht Götzen schnitzt. O
Macht und Stärke,
O stille Weisheit, Wohlthun,
das nicht Ende,
Noch Grenze kennt, o
unermessene Güte,
Allgegenwärtig hah’ in deinem
Werrke,
Nie hoben deinen Schleier
Menschenhände,
Doch zeigt dein Hauch dich innerstem
Gemüthe.
65
Ich trat zur Welt, ein hohes
Ideal
Hatt’ alle Seiten meiner Brust
gestimmt.
O Wirklichkeit! Wie bald war
ich verstimmt
Ob solchem wilden Jammer
allzumal!
Und mich ergriff des tiefsten
Unmuths Qual,
Ob eitler Kunst und Wissen still
ergrimmt.
Was nicht dem Tode seinen
Stachel nimmt,
Noch Elend lindert, bann’ ich
ohne Wahl.
Hinab mit euch, ihr sengt mich
bis in’s Mark,
Scheinwissens Prahlerei und
Lüg’ der Kunst,
Der Hoffart Spreizen in der
Ruhmsucht Brunst!
O du, der bessert, heilt und
hilft, sei stark
Und mild mit uns, verscheuch’
den gift’gen Dunst,
Du heil’ger Arzt! hinweg mit
allem Quark!
66
O glaubt, ein Unglück ist es,
satt zu sein
Bei schlechten Trebern und den
Hunger meiden
Nach bess’rer Kost. Viel besser, Hunger leiden
Und von der höhern Sehnsucht
matt zu sein.
Wohl schlimme Sache, ohne Rath
zu sein,
Doch schlimmer weit, von Rath
nicht können scheiden,
Der uns verräth. Schlimm, sich
nicht können kleiden,
Doch schlimmer, schmuck im
Narrenwat zu sein.
Ihr, die ich lieb’, und die ihr
eßt und trinkt
Zur Gnüg’ am bösen Tisch, die
ihr euch kleidet
Im Modekleid der Zeit, nach
ihrem Winde:
Gott geb’ euch Hunger, eh’ zu
Grab’ ihr sinkt,
Sammt Blöße euch, so euch die
Welt nicht neidet:
Wenn’s hungrig ist und nackt,
hilft er dem Kinde.
67
Dich durstet; hohe Götter
senden dir
Den kühlen Labungstrunk aus
Himmelshöhn,
In Hitz’ und Durst dich sterben
nicht zu sehn,
Und freundlich ladend steht vor
deiner Thür
Ein Engelbote. Goldpokales
Zier,
Des Meißels Meisterstück, mit
Bildern schön
Ringsher geschmückt, beim Mahl
von Königinnen
Ein Prachtgefäß, erregt dein
Staunen schier.
Du aber fragend, klügelnd,
kritisirend
Und tadelnd blickst der Gruppen
Schnitzwerk an,
Das Laubgewind’, und sprichst
manch thöricht Wort.
Trink’ Freund; trink’, daß
nicht deinen Vorwitz spürend
Die Gottheit zürn’ ob deines
Dünkels Wahn,
Dann frag’; weh! flög’ der
Trank vom Mund dir fort.
68
„Ich richte
mich, da ich bedarf der Richtung,
Nach einem Richter sanft in der
Entscheidung,
Der Fahne auf dem Dach, sie,
deren Zeitung
Genügend ist zu jedes Zweifels
Schlichtung.“
„Und trifft mich doch zufällige
Bezüchtung
Meiner Autorität, will zur
Vermeidung
Des Uebelstands ich folgen
jener Leitung
Der rost’gen Fahne, deren Wink
Erdichtung.“
„So sei mein Herz ein stattlich
Wetterglas,
Sets gutes Wetter kündend, mein
Gewissen
Ein Hofprophet, der nimmer
Böses kündet.“
„Dann wird der Ernst des Lebens
mir zum Spaß.“
So hilft sich, wer, zu helfen
sich beflissen,
Sich in der Welt Verlegenheit
befindet.
69
Du sprichst: als Bürger darf
ich’s mir erlauben
Nach dem Gesetz, obgleich nicht
als ein Christ;
Ich darf’s, als Philosoph, als
Spinozist,
Nach der Vernunft, obwohl nicht
nach dem Glauben.
Du sprichst: als in der Welt
nicht läßt sich’s rauben,
Wer Mensch mit Menschen und
kein Engel ist;
Ich darf es nach der Welt, ob
andres mißt
Und meint die Kirche, zwingend
mich in Schrauben.
Ich darf’s als jung, als klug,
als reich, als schön,
Als kerngesund, als Eh’herr,
als Gebieter,
Als Fürst, als Vater darf ich’s
jedenfalls.
Weh dir, o Mensch, willst auf
das „als“ du sehn,
Und weh dem Schutgeist, deiner
Seele Hüter;
Weh, schaffst du nicht den
Teufel „als“ vom Hals!
70
Nicht ist es Nacht, bevor die
Sonne schwindet,
Drin Fledermaus und Uhu sich
erlaben,
Und freies Spiel Poet und Diebe
haben,
Und was im Finstern ringelt,
schleicht und windet.
Auf sumpf’gen, öden Stätten nur
entzündet
Sich Feuerball und Irrwisch, wo
begraben
Verwes’te Menschheit liegt, ein
Schreck den Knaben,
Bis Sonne neu des Tages Aufgang
kündet.
Nur in der Finsterniß auf
Gottesackern
Ersteht und wächst und spielt
des Sumpflichts Schein,
Ein Wunderglanz morastgebornen
Fröschen.
Nicht aller Sterne Licht
verscheucht sein Flackern;
Die einz’ge Sonne nur vermag’s
allein;
Sie winkt, schnell muß die
Wahngestalt verlöschen.
71
Sucht freie Luft, im Qualm der
Stadt begraben,
Trinkt Frisch’ und Freiheit auf
der jungen Flur,
Vergeßt am Busen ländlicher
Natur
Die Sorgen all’, die quälend
euch umgaben.
Laßt dunkle Waldeskühlung euch
erlaben,
Am ersten klaren Quell gelagert
nur,
Wo Windsgesaus verweht die
letzte Spur
Der alten Thorheit, drüber ihr
erhaben.
Und ihr, im Qualm und Dunst der
Welt begraben,
In schwüler Ichsucht Kerker
rings verstaubt
Und dumpfumnachtet; auf, ihr
armen Geister,
Hinauf, hinaus, ob Welt und Ich
erhaben,
Wo ew’gen Frühlings Fried’ euch
frisch umlaubt,
Und labt; o horcht nicht eurem
Kerkermeister!
72
So weit die Erde, Wasserbrunnen
quillen,
So weit der Himmel, strahlet
Tageslicht,
So weit die Räume, Freiheit
nicht gebricht,
So lang’ die Zeit, regt Gnade
Menschenwillen.
Sein ist das All, anbetend
feir’ im Stillen,
Als heil’ges Opfer ihm dich
weigernd nicht,
Aus seinem heil’gen Schatz zu
Tage bricht
Die Herrlichkeit, den ew’gen
Durst zu stillen.
Die Wonne der Natur, die
Herrlichkeiten
Der Tugend, der Religion, der
Kunst,
Die strahlend hell der Völker
Nacht durchblitzen,
Im ew’gen Mittags Glanz ihm Lob
bereiten,
Der sie verliehn; sie
schwinden, wie im Dunst,
Wo Thorheit wähnt, sie eigen zu
besitzen.
73
Drängt sich an’s Herz des
jungen Frühlings Pracht
Gleich einem Kind in sel’gen
Liebeswonnen,
Hat Berg und Thal zu keimen
schon begonnen,
Scheucht Sonnenblick des
Winters starre Nacht,
Und schmelzt allmälig wärmern Strahles
Macht
Des Eises Block, bis letzter
Schnee zerronnen
In düstrer Thalschlucht, bis
der Liebessonnen
Antlitz verklärt im hohen Siege
lacht;
Wenn Primeln leuchten, duft’ge
Veilchen glühen,
Im dunklen Moos am sonn’gen
Hang der Hügel
Der Tageslilien Glöcklein
zitternd stehn,
Die rein und weiß in
Unschuldswonne blühen:
Schwingt sich die Seele wie auf
Lerchenflügel
Zum Land, wo nie der Frühling
wird vergehn.
74
Wenn tief die dunklen
Frühlingswolken gehen
Im schweren Zug, geschmückt mit
goldnen Rändern,
Geführt gleich Schwänen hin zu
fernen Ländern
Vom lauen West hoch über Thal
und Seen;
Wenn rings Natur auf Wäldern
und auf Höhen
Erwacht und spielt mit Schmuck
und Prachtgewändern,
Und sinnt und schafft, schnell
Alles zu verändern
In Pracht und Wonn’, ein Wunder
anzusehen:
Dann mit der milden
Frühlingslüste Wehen
Erwacht die alte Sehnsucht,
doch hienieden
Ist ihrem Flug kein Ruheplatz
beschieden,
Wie vormals. Hoch hinan zu
lichten Höhen,
Wo hehr im Glanz die
Abgeschiednen stehen,
Entschwebt sie zu der Gottheit
festem Frieden.